Colonial Neighbours:
ein partizipatives Archiv- und Forschungs-projekt zur deutschen Kolonial-geschichte

Colonial Neighbours ist ein fortlaufendes partizipatives Archiv- und Forschungsprojekt, das sich mit der deutschen Kolonial- geschichte und ihren Nachwirkungen und Kontinuitäten in die Gegenwart auseinandersetzt. Durch den kollektiven Sammlungsprozess werden Lücken und Auslassungen im deutschen kollektiven Gedächtnis adressiert sowie dominante Wissensordnungen und Geschichtsschreibungen hinterfragt. Das Archiv dient darüber hinaus als Plattform für Diskussionen und Austausch und als Ausgangspunkt für Kollaborationen mit Akteur*innen unterschiedlicher Sparten.

Eine „entfernte“ Vergangenheit

Die deutsche koloniale Vergangenheit ist eine Geschichte von Ignoranz und Verschlossenheit [1]. Im offiziellen kollektiven Gedächtnis wird sie aktiv verdrängt, verschwiegen und verleugnet oder als fragmentarisch und isoliert von anderen geschichtlichen Entwicklungen dargestellt. Als Folge davon erscheint der deutsche Kolonialismus oft als Teil einer „entfernten“ Vergangenheit. Aber: Der Kolonialismus hat sowohl die „Peripherie“, als auch das „Zentrum“ nachhaltig geprägt. Wie von vielen Seiten angemerkt, kann ein Verstehen aktueller politischer Konstellationen in Deutschland und Europa nicht ohne ein Verständnis der Rolle Deutschlands als Kolonialmacht erwachsen. Die Stadt Berlin spielt eine bedeutende Rolle in der Geschichte des Kolonialismus. Die Repräsentanten des Landes luden in den Jahren 1884–1885 zur berühmten „Kongo-Konferenz“ in die Hauptstadt ein, wo der afrikanische Kontinent zwischen den europäischen Mächten aufgeteilt wurde. Berlin setzte den Prozess der globalen Expansion Europas in Gang, hier wurden politische Regeln für die Koloniali-sierung der afrikanischen Territorien ausgehandelt und umgesetzt. Rassismus und Kolonialismus stehen in einem untrennbaren Verhältnis zueinander, dessen Folgen bis in die Gegenwart nachwirken.

Objekte als Mediatoren einer verflochtenen Geschichte

Dem Konzept von „Geschichte als Verflechtung“ (vgl. Conrad & Randeria) folgend zielt das Projekt darauf ab, mit historischen Dichotomien zu brechen und ein differenzierteres Bild aktueller Lebenswelten in Berlin zu zeichnen. Objekte, ob Alltagsgegenstände, kommerzielle Produkte oder andere materielle wie immaterielle Spuren der Geschichte, wie Worte, Lieder, Erinnerungsfragmente und Oral Histories fungieren als Mediatoren, um die verflochtene(n) Geschichte(n) zwischen Deutschland, dem afrikanischen Kontinent, China und den kolonialisierten
Gebieten im Pazifik zu erzählen.

Das Archiv als Intervention und Plattform

Das Archiv bietet einen Raum zur Dokumentation dieser „silenced history“ sowie zur kritischen Untersuchung von (historischen) Kolonialismen und zeitgenössischen Kolonialitäten (Aníbal Quijano, 2010). Der Anthropologe Arjun Appadurai begreift unabhängige nicht-staatliche Archiv- und Dokumentationsprojekte als soziale Werkzeuge und Interventionen [2]. Ausgehend von diesen Überlegungen und über den Sammlungscharakter hinaus stellt das Archiv den Ausgangspunkt für Auseinandersetzungen unterschiedlicher Natur dar. Als Plattform für Austausch und Dialog ist es gleichsam ein Ort für Kollaborationen mit Künstler*innen und Kulturproduzent*innen, Wissenschaftler*innen, Aktvist*innen und anderen Akteur*innen.

Colonial Neighbours has been kindly supported by 

1

Vgl. Conrad & Randeria, Jenseits des Eurozentrismus: postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, 2002, S.33.

2

„The archive as deliberate project is based on the recognition that all documentation is a form of intervention and thus, that documentation does not simply precede intervention but is the first step. [...] This further means that archives are not only about memory (and the trace or record) but about the work of the imagination, about some sort of social project. These projects seemed, for a while, to have become largely bureaucratic instruments in the hands of the state, but today we are once again reminded that the archive is an everyday tool.“ (Vgl. Arjun Appadurai, Archive and Aspiration, in: Information is Alive, Joke Brouwer, Arjen Mulder (Hg.), 2003, S. 14–25, (24–25)).