Spinning Triangles:
Anstoss zu einer Schule für Gestaltung.
berlin

Anlässlich des 100-jährigen Bauhausjubiläums fordert SAVVY Contemporary mit dem Projekt SPINNInG TRIANGLES die inhärenten, neokolonialen Machtstrukturen in Gestaltungspraxis, -theorie und -lehre heraus. Es nimmt den Gründungsmoment des Bauhauses vor 100 Jahren auf, um sich ihrer Realität als Schule zu stellen, und diesen Moment zu verdrehen und umzuformen.

Nach den ersten SPINNING TRIANGLES–Kapiteln in Dessau, Berlin und Kinshasa, öffnen wir nun die Türen bei SAVVY Contemporary für eine vierwöchige Sommer-”Schule”. 

Das Bauhaus war vorerst eine Schule für Gestaltung. Sie wollte neue Generation von Gestalter*innen, Macher*innen und Denker*innen ausbilden, die sich den Herausforderungen ihres „Jetzt“ stellten. SPINNING TRIANGLES nimmt diesen Gründungsmoment von 1919 bewusst auf – aber nicht um ihn zu wiederholen, sondern um ihn zu verdrehen: dabei soll eine Schule für Gestaltung entstehen, die das Zeug hat, die Herausforderungen ihrer Zeit anzugehen und genau deswegen vielleicht zur „Un-Schule“ wird. Sie entwickelt sich nicht ausschließlich im geopolitischen Westen, sondern durch die akzelerierte Drehung zwischen eng miteinander verwobenen Orten: Dessau, Kinshasa, Berlin und Hongkong. Sie wirbelt die ihnen zugeschriebenen Rollen – Ideenzentrum, Rohstofflieferant, Produktionsweltmeister – durcheinander.

Die ersten Drehungen dieses Langszeitprojekts fanden zu Beginn des Jahres in Deutschland (in Dessau und Berlin) statt, worauf sie in Kinshasa beschleunigt wurden. Kinshasa ist die Hauptstadt eines Landes, ohne das unsere Smartphone-Moderne, Kreativwirtschaft und Datensammelwut gar nicht zu denken sind und das dabei die größten Opfer bringt. Allein in den letzten zwanzig Jahren haben die rücksichtslose Ausbeutung von Rohstoffen und die damit verbundenen Konflikte zum Tod von sechs Millionen Menschen geführt – offizielle Zahlen, die als eher vorsichtige Schätzung gelten können.

Hier nun wurde eine Austauschplattform für Wissenstransfer zwischen verschiedenen Akteur*innen des sogenannten “Globalen Südens” initiiert. Während einer Reihe von Workshops und eines mehrtägigen Symposiums diskutierten die Teilnehmer*innen die vorherrschenden Zustände, hinterfragten Lösungsansätze, sprachen über Erfolge und Misserfolge, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, während sie sich zwischen Vorträgen, Spaziergängen, Diskussionen, Musik und Performances bewegten. Verschiedene Workshops luden zu weiteren Austauschen ein, in denen nicht nur über soziales und politisches Klima, Bedingungen unseres “Jetzt” sowie die Praxis und Lehre von Gestaltung nachgedacht wurde, sondern in denen diesen Herausforderung durch praktisches Tun begegnet wurde. 

In zahlreichen Diskussionsrunden wurde ein realistisches Konzept einer Schule für Gestaltung diskutiert und hinterfragt. Dieser spekulative Rahmen schaffte einen Raum, in dem einige Annahmen feststanden: Eine solche Schule kann nicht zeitlich begrenzt sein, sie würde andauern und gelebt werden. Sie würde für das Umfeld geschaffen werden, aus welchem heraus sie entsteht (Kinshasa) und bliebe dabei offen, sich auch in anderen Geographien weiterzuentwickeln, was zu unserer dritten Drehung führt. 

In dieser dritten Umkehr aktiviert sich die “Schule”, die ebenso gut auch “Unschule” genannt werden kann, in Berlin bei SAVVY Contemporary –The Laboratory of Form-Ideas. Vom 22.07. bis 18.08.2019 machen wir Platz für eine “Schule” für Gestaltung, die sich entlang der Verwicklungen von Modernität und Kolonialität bewegt und deren Auswirkung auf das “Weltschaffen” sowie deren offensichtliche und weniger offensichtliche Masterpläne hinterfragt. 

40 Teilnehmer*innen sowie fünf geladene Gäste aus Kinshasa (Lema Diandandila, Grace Mujinga, Orakle Ngoy, Jean Jacques Tankwey and Nada Tshibuabua) werden dieser “Schule” allmählich eine Form geben, in dem sie Methoden und Praktiken entlang der genannten Erörterungen untersuchen. Gemeinsam werden Formen des Zusammenlebens und gemeinsamen Gestaltens ausgehandelt und somit neue Konzeptionen einer globalen Realität vorgeschlagen werden. Dabei fungiert die Infrastruktur aus Studios und Werkstätten in Berlin-Wedding und um SAVVY Contemporary herum als eine kooperative Basis für die Teilnehmer*innen. 

Jede Woche werden öffentliche Vorträge oder im weitesten Sinne “Beiträge” von Denker*innen, Künstler*innen und Gestalter*innen wie Arjun Appadurai, Olani Ewunnet, Henri Kalama, Kristina Leko, Dominique Malaquais, Lorenzo Sandoval und vielen anderen präsentiert werden. Die Teilnehmer*innen der “Schule” werden Van Bo Le-Mentzels Wohnmaschine als Ort und Plattform für öffentliches Engagement aktivieren. Zum Ende dieses langen Prozesses des kollektiven Denkens und Tuns wird die “Schule” ihre Türen öffnen und interessierten Besucher*innen ermöglichen, sich mit den fertigen und unfertigen Arbeiten auseinanderzusetzen. 

Im vierten, umkehrenden Zug des Projekts werden wir gemeinsam mit dem Kunstraum Para Site in Hongkong ein Symposium und Workshops ausrichten, die die in diesem Langzeitprozess aufgekommenen Diskussionen aufnimmt und fortsetzt uns dabei die Perspektiven auf Gestaltungspraktiken und -diskurse in einen wieder anderen, spezifischen Kontext verschiebt.

Photo: Leonor Vilhena
Photo: Leonor Vilhena
Photo: Leonor Vilhena
Photo: Leonor Vilhena
Photo: Leonor Vilhena
Photo: Leonor Vilhena
Photo: Van Bo Le-Mentzel/ TIny Foundation
Photo: Van Bo Le-Mentzel/ TIny Foundation
Photo: Van Bo Le-Mentzel/ TIny Foundation
Photo: Van Bo Le-Mentzel/ TIny Foundation