The Rehearsal & The Playbook

ÖFFENTLICHES PROGRAMM 25.10.2025 16:00–20:00
MIT İrem Aydın, Zeynep Dadak & Çiçek Kahraman, Selin Davasse, Ali Miharbi, Cana Bilir-Meier, Ana Teixeira Pinto
KURATIERT VON STRÜKTÜR
Freier Eintritt Spenden erwünscht
Besuch SAVVY ist mit dem Rollstuhl zugänglich
PROGRAMM
16:00 | WILLKOMMEN & EINFÜHRUNG |
16:30 | Selin Davasse When the wolf howls on the plain, the dog’s chest aches at home / Düzlükte kurt ulusa, evde itin bağrı sızlar Performance |
17:00 | Zeynep Dadak & Çiçek Kahraman Weird Absurd Whatever Video–Essay |
17:30 | İrem Aydın The Blue Bed PERFORMANCE |
18:00 | İrem Aydın, Zeynep Dadak & Çiçek Kahraman, Selin Davasse and Ali Miharbi GESPRÄCH |
19:00 | Ana Teixeira Pinto Oh Man! The world ends, masculinity endures VORTRAG & ANSCHLIESSENDES GESPRÄCH |
16:00 – 20:00 | Installierte Filmarbeiten und Live-Installationen: |
Nach dem ersten Kapitel in Istanbul begrüßen wir STRÜKTÜR herzlich zur Vorstellung ihres Herbstprogramms im SAVVY-Haus: THE REHEARSAL & THE PLAYBOOK ist eine kritische Untersuchung der sich wandelnden Ausdrucks- und Choreografiemethoden autoritärer und populistischer Bewegungen. Ausgehend von der Türkei untersucht das Projekt, wie autoritäre und populistische Dynamiken über Grenzen hinweg wirken und dabei Körper, Gesten und kollektive Vorstellungswelten prägen. Durch Performances, Installationen und Bewegtbildarbeiten inszeniert das Programm Begegnungen mit den Spannungen zwischen Gehorsam und Verweigerung, Intimität und Kontrolle, Solidarität, Widerstand und Gefangenschaft.
Nach ihrer Premiere in Istanbul werden die Auftragsarbeiten nun in Berlin präsentiert und bieten unterschiedliche Ansätze für den Begriff "Probe":
İrem Aydın präsentiert The Blue Bed, eine Performance, die im Rahmen kollektiver Schreibworkshops in Istanbul und Berlin entwickelt wurde und Text, Projektion und Live-Lesung miteinander verbindet. Im Mittelpunkt steht eine Meditation über „hüzün“: ein türkisches Wort, das oft als unübersetzbar erachtet und Nuancen von kollektivem Verlust, anhaltender Trauer und einer in Durchhaltevermögen gefundenen Schönheit beinhaltet. Hier wird „hüzün“ durch queere Erfahrungen aufgefächert und sowohl zu einer Aufzeichnung von Leid als auch zu einem Raum der Möglichkeiten – einem emotionalen Gemeingut. Das Werk bewegt sich zwischen der Melancholie der Migration, dem Schmerz des Bleibens, der Trauer des Fortgehens und der Solidarität, die sich zwischen denen entwickelt, die gehen, und denen, die bleiben, und deutet gleichzeitig auf die Möglichkeit hin, "hüzün" zu queeren.
Der Video-Essay Weird Absurd Whatever von Zeynep Dadak und Çiçek Kahraman nimmt seinen Ausgangspunkt in der Abwesenheit ihrer Freundin, der Filmemacherin Çiğdem Mater, die seit 2022 als eine der Angeklagten im Gezi-Prozess inhaftiert ist. Das Werk beschäftigt sich mit dem fragilen Raum zwischen künstlerischem Impuls und politischer Einschränkung: Wie kann die Zusammenarbeit angesichts von Abwesenheit fortgesetzt werden? Wie dringen Angst und Selbstzensur in den Probenraum der Vorstellungskraft ein und bestimmen, was gesagt werden kann und was nicht? Durch Träume, alltägliche Notizen, spekulative Bilder und Fragmente gemeinsamer Erinnerungen behandelt der Film die Probe selbst als eine Form des Widerstands – einen unvollendeten, provisorischen Raum, in dem Dialog möglich bleibt. Sich vorzustellen, dass die Freiheit der Künstlerin Çiğdem Mater wiederhergestellt werden kann, wird hier sowohl zu einer Meditation über filmische Solidarität als auch zu einer Weigerung, ausgelöscht zu werden.
Selin Davasses Wenn der Wolf auf der Ebene heult, schmerzt die Brust des Hundes daheim / Düzlükte kurt ulusa, evde itin bağrı sızlar (2025) ist eine Performance über zwei Tiere in zwei Sprachen. In türkischen Sprichwörtern verkörpert der Hund Unterwürfigkeit, Erniedrigung und Schamlosigkeit; der Wolf hingegen steht für Souveränität, Wildheit und fleischfressende Männlichkeit. In der zeitgenössischen türkischen Politik werden streunende Hunde als Bedrohung für die Städte verteufelt, während mythische Wölfe als Symbole der Nation verherrlicht werden. In verschiedenen Sprachen – Englisch, Türkisch, Griechisch, Italienisch – wird das Wort für „Hündin“ nach wie vor als Beleidigung für widerspenstige, promiskuitive oder heimtückische Frauen verwendet. Selin Davasse verfolgt diese Verflechtungen von Animalität, Sprache und Herrschaft und performt als Hündin und Wölfin, die sich durch Verletzlichkeit, gegenseitige Abhängigkeit und Monstrosität beißt. Sie wechselt zwischen verschiedenen Registern und pendelt zwischen hündischen und wolfsähnlichen Körpern, die zu Orten werden, an denen Autoritarismus geprobt – und bekämpft – wird, während sie nach Möglichkeiten für kooperative Verträge der (Selbst-)Domestizierung und Koexistenz zwischen Menschlichem und Außermenschlichem sucht.
Ali Miharbis Live Eyes (2025) isoliert das flüchtigste und doch aussagekräftigste Detail von im Fernsehen übertragener Politik: die Augen. Mit einer speziellen Software mit Gesichtserkennungsalgorithmen extrahiert Miharbi die Blicke von Moderator:innen, Politiker:innen und Kommentator:innen aus türkischen Live-Sendungen, vergrößert sie und lässt sie in Stille entschweben. In dieser für The Rehearsal & The Playbook produzierten Fünf-Kanal-Installation werden die Betrachtenden einem Kreuzfeuer von Blicken ausgesetzt, die aus verschiedenen Medien stammen – anklagend, überzeugend, panisch, ausdruckslos – in einer Medienlandschaft, die von Überwachung, Desinformation und inszenierter Empörung geprägt ist.
Der von SİNEMA TRANSTOPIA in Auftrag gegebene Film Ein neues Wort (2025) von Cana Bilir-Meier knüpft an einen Wettbewerb an, der 1970 in Westdeutschland ausgeschrieben wurde, um eine Alternative zum Wort „Gastarbeiter“ zu finden. In München lässt sich ein Chor, der aus überwiegend ehemaligen türkeistämmigen Arbeitsmigrant:innen besteht, von den über 30.000 eingereichten Vorschlägen inspirieren und entwickelt daraus eine eigene musikalische Interpretation. Gemeinsam mit dem Chor erforscht die Künstlerin einen ermutigenden und zugleich dekonstruktiven Umgang mit sprachlichen Zuschreibungen – eine Wiederaneignung von Wörtern, die teils offen rassistisch, oft verletzend oder abwertend, zugleich aber auch absurd oder sinnentleert wirken.
VORTRÄGE UND VERÖFFENTLICHUNGEN
The Rehearsal & The Playbook, das Herbstprogramm von STRÜKTÜR, wird durch eine Reihe von diskursiven Veranstaltungen und Interventionen ergänzt. Die Webinar-Reihe mit internationalen Wissenschaftler:innen begann am 20.08.2025 mit einem Gespräch über "Antifaschismus einstudieren/proben" mit dem Philosophen und Autor Alberto Toscano. Die Reihe endet am 25.10.2025 mit einem Vortrag der Autorin und Kulturtheoretikerin Ana Teixeira Pinto bei SAVVY Contemporary mit dem Titel "Oh Man! The world ends, masculinity endures."
STRÜKTÜR wird diese Vorträge zusammen mit den neu in Auftrag gegebenen Werken, Transkripten und Reflexionen der oben genannten Mitwirkenden auf seiner Online-Plattform unter der Rubrik The Playbook veröffentlichen.
STRÜKTÜR is a Berlin-based association dedicated to building and expanding support structures for art and artists from the geography of Turkey. At its core is the collective production of diasporic and critical discourse and knowledge, as well as the cultivation of trans-communal exchange. Through thematic programmes, publications, workshops, and public programmes, STRÜKTÜR seeks to root, grow, and disperse artistic research and diasporic thinking across borders, communities, and generations.
Performistanbul founded in 2016, is an Istanbul-based international platform dedicated to performance art. Embracing a “spaceless” identity, it has collaborated with institutions including the Pera Museum, SALT, OMM, the Istanbul Biennial, Tate Modern, and the V&A Museum, realising nearly 400 performances with over 100 artists. Performistanbul has also established the Live Art Research Space (PCSAA), founded Performistanbul Publications, and launched a performance art residency – all aimed at advancing research, education, and resources for performance art both locally and globally.
The Rehearsal & The Playbook ist ein STRÜKTÜR-Projekt, gefördert im Projektfonds Bildende Kunst des Goethe-Institut. In Partnerschaft mit Performistanbul.