Lagos/Berlin Residenzprogramm 2019

Um Künstler*innen und Kurator*innen aus Lagos und Berlin Einblicke in die Kunstwelt des jeweils anderen Landes zu ermöglichen und dort zu arbeiten, hat das Goethe- Institut Nigeria in Kooperation mit dem Amt für Weiterbildung und Kultur Berlin- Mitte, Galerie Wedding – Raum für zeitgenössische Kunst, ZK /U – Zentrum für Kunst und Urbanistik, dem Kunstraum SAVVY Contemporary Berlin sowie der Arthouse Foundation Lagos das Residenzprogramm für junge Künstler*innen und Kurator*innen aus Berlin und Lagos ins Leben gerufen. Zu den Stipendiat*innen 2019 gehören die nigerianische Künstlerin Antoinette Yetunde Oni sowie die Berliner Künstler*innen Dane Komljen und Katrin Winkler. 

Das diesjährige Programm versteht sich auch als Raum für Improvisation, für die Formulierung und den Ausdruck des globalen Wandels in urbanen Zentren. Die Ausstellung »New Commons – Lagos/Berlin« dient als ein Moment in Zeit und Raum, der dem Austausch zwischen den beiden Städten gewidmet ist. Im Mittelpunkt stehen alternative Formen der Interaktion zwischen autonomen Netzwerken und deren Nutzung der Stadtarchitektur als Bühne. Urbane Standorte, die neu genutzt werden und als Zentrum für die Diaspora und andere Subkulturen in Lagos und Berlin fungieren. 

 

Antoinette Yetunde Oni als Stipendiatin in Berlin: »Fellowship & Future Landscapes« im Dong-Xuan-Center, Berlin, 2019:

"Die in Berlin stattfindende ‚Extinction Rebellion‘ ist fast wie eine neue Diaspora", sagt die nigerianisch-britische Künstlerin und Architektin Yetunde Oni, die beobachtet hat, wie die Aktivistengruppe den urbanen Raum und die Gebäude Berlins für die Inszenierung ihrer Standpunkte und Demonstrationen nutzt. Ihr künstlerischer Ansatz ist es, die Anpassungsfähigkeit verstreuter Communities und Typologien der Architektur zu untersuchen und die Orte des ‚Anderen‘ durch Fotografie, Collage und Mapping aufzunehmen. Das Dong-Xuan-Center in Lichtenberg versteht sie als transformatives Kulturzentrum und kommerzielles Marktareal, das Michel Foucaults Beschreibung von Heterotopie versinnbildlicht; ein Ort des ‚Anderen‘, mit Schichten von Geschichte und Bedeutung, die zu seiner gegenwärtigen Existenz geführt haben. »New Commons: Fellowship & Future Landscapes« untersucht die poröse Natur der Diaspora und spekuliert im Format einer Collage über die Zukunft ihrer Räume – wie beispielsweise des Dong-Xuan-Centers – und den kulturellen Wert, den die menschlichen Handlungen dieser Art von Architektur verleihen.

Antoinette Yetunde Oni, 1994 in London geboren, zog im Alter von neun Jahren nach Lagos, Nigeria. Ihre Arbeit setzt sich mit Umweltproblemen wie  Ressourcen-verschlechterung und Wüstenbildung in der Sahelzone auseinander, die sie in Form von fiktiven futuristische Landschaften und architektonischen Interventionen übersetzt. Ihre Erkundung der westafrikanischen Topographie begann während ihrer Zeit als NGO-Vertreterin bei den Vereinten Nationen, wo sie sich für die Landrechte von Frauen auf dem Land in Ghana und Nigeria einsetzte. Neben ihrer Arbeit als Künstlerin und Anwältin arbeitet sie derzeit als Designerin für ein in Lagos ansässiges Architekturbüro. Yetunde hält einen BA in Architektur von der Manchester School of Architecture.


Dane Komljen als Stipendiat in Lagos: Die zivile Umnutzung eines Messegebäudes in Lagos. Eine Film-, Ton- und Fotoinstallation »The Seven Elements«, 2019:

Der ‚Trade Fair Complex‘ in Lagos wurde von 1973 bis 1977 von ‚Energoprojekt‘ gebaut, einem jugoslawischen Bauunternehmen, das in vielen Ländern der Blockfreien- Bewegung große Projekte realisierte. Der ‚TFC‘ wurde ein Jahrzehnt lang als Handelsplatz genutzt, bevor er geleert wurde und dem fortschreitenden Prozess der Privatisierung unterlag. Ausgehend von den Menschen in der näheren und weiteren Umgebung, dem Stadtrand, entstand ein Markt rund um zwei der fünf Gebäude, zu dessen ursprünglichen Strukturen neue Elemente hinzugefügt wurden. Die Installation »The Seven Elements« des in Berlin lebenden bosnischen Künstlers Dane Komljen, der gerade von seiner Lagos-Residenz zurückgekehrt ist, untersucht diesen Ort als utopisches Projekt, das in einem konkreten europäischen Umfeld konzipiert und in einem westafrikanischen Raum verwirklicht wurde, wo es sich zwar nicht durchsetzen konnte, aber umgenutzt und umgeformt wurde. Es ist eine Geschichte davon, wie eine Utopie durch historische Zeit fortbesteht. In der Installation platziert er um eine unvollständige Zeichnung des Grundrisses archivarische Fotos und Texte, aktuelle Ton- und Filmaufnahmen von Objekten, Steinen, Pflanzen, Tieren und Menschen, die nun das ehemalige Messegebäude in Lagos bevölkern. Ein Porträt des ‚Trade Fair Complex‘ als Schnittstelle von Ordnung und Chaos, imaginiert und geformt, vertikal und horizontal, Makro- und Micro-Community.

Dane Komljen wurde 1986 in Banja Luka, im ehemaligen Jugoslawien geboren und lebt in Berlin. Er studierte an der Fakultät für darstellende Kunst in Belgrad, Le Fresnoy in Tourcoing und an der Universität der Künste in Berlin. All the Cities of the North, sein erster Spielfilm, wurde 2016 in Locarno uraufgeführt und anschließend auf über 60 Festivals und Veranstaltungsorten weltweit gezeigt. Phantasiesätze, sein jüngster Kurzfilm, wurde 2017 in Locarno mit dem Mantarraya Casa Wabi ausgezeichnet. Derzeit entwickelt er zwei neue Langfilmprojekte: A Treatise on Limnology und Desire Lines. Das Institute of Contemporary Arts in London organisierte Ende 2018 eine Retrospektive seiner Arbeit. Anfang des Jahres beauftragte ihn die Volksbühne Berlin mit der Produktion einer audiovisuellen Performance:  As quickly as the leaves in the Garden have faded.
 

Katrin Winkler als Stipendiatin in Lagos: Historische Wege zur Wissensvermittlung und ihre Verflechtung mit rebellierenden Frauen in Lagos »pass it on and she will know«, 2019:

Pflanzenmaterialien sind eines der ältesten Informationsträger des Menschen. Historische Texte deuten darauf hin, dass Palmblätter seit Jahrhunderten für diesen Zweck verwendet wurden. In der Ausstellung »New Commons – Lagos/Berlin« präsentiert Winkler eine Reihe von einnehmenden Notizen, die auf Abbildungen von Palmblattschatten gedruckt sind. Die Drucke sind zum Teil verstreut in der Ausstellung sowie auf einer zentralen Wand platziert, und tragen Schriftzüge wie: »Indem ich dir dieses Blatt gebe, lade ich dich ein, zu unserer Versammlung zu kommen, um zu protestieren«; »Hör zu, was hier passiert, ist nicht zum Besseren – sondern ein Mittel, um unser Leben härter zu machen«. In Lagos erforscht die in Berlin lebende Künstlerin und Filmemacherin Katrin Winkler, während diese Ausstellung stattfindet, historische Kommunikationsmittel (Palmblätter). Sie beziehen sich beispielsweise auf die Abeokuta Frauenrevolte, eine von Marktfrauen geführte Widerstandsbewegung, die Ende der 1940er Jahre die ‚Abeokuta Women’s Union‘ (AWU) gründete und gegen die Einführung ungerechter Steuern durch die britische Kolonialregierung kämpfte.

Katrin Winkler, geboren 1983 in Starnberg, ist Künstlerin und Filmemacherin. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Ihre künstlerische Arbeit bewegt sich zwischen Expanded Cinema, intensiven Recherchen, Video und Fotografie. Inwieweit Geschichte (un-)sichtbar und mit der Gegenwart verwoben ist, ist eine wieder- kehrende Thematik in ihrer künstlerischen Praxis. Sie absolvierte Recherche- und Assistenzaufenthalte sowohl am Katutura Community Art Center, Windhuk, Namibia als auch an der City Varsity, Kapstadt, Südafrika. Sie studierte Fotografie an der Hochschule München (BFA) und Medienkunst/ Mass Media Research und Kunst im medialen öffentlichen Raum bei Günther Selichar und war Meisterschülerin in der Klasse Expanded Cinema bei Clemens von Wedemeyer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Am California Institute of the Arts, Los Angeles studierte sie Fotografie und Medien (MFA) unter anderem bei Allan Sekula, Ashley Hunt, Michelle Dizon, Billy Woodberry und war Teil des CalArts-Institute of Integrated Media. Ihre Arbeiten wurden bereits international ausgestellt.