The Law of the Pursuer:essay-Ausstellung 
VOn Amos Gitai

Während der Berlinale im Jahre 2016, hat SAVVY Contemporary eine Reihe von Einzelausstellungen über Filmemacher angestoßen, die mit Jean-Pierre Bekolos Welcome to Applied Fiction eingeleitet wurde. Seitdem laden wir jedes Jahr eine*n Regisseur*in dazu ein, über den flachen Bildschirm hinauszugehen und den Arbeitsprozess und die Recherche, die hinter dem Endprodukt des Filmes stehen, in einer Ausstellung transparent zu machen. In diesem Jahr freuen wir uns, Amos Gitai bei uns willkommen zu heißen.

THE LAW OF THE PURSUER ist eine Essay-Ausstellung von Amos Gitai, die sich mit den Fragen auseinandersetzt, die durch seinen Film Rabin, the Last Day (2015) aufgeworfen wurden. Dieser handelt von der Ermordung des israelischen Premierministers Yitzhak Rabin am 4. November 1995. Gitai zeigt bislang nicht veröffentlichtes Forschungs- und Bildmaterial aus seinem Archiv, das er in den letzten zwanzig Jahren zusammengetragen hat. Das Herzstück der Ausstellung bildet eine neue Videoinstallation, die performative Elemente enthält und eigens vonSAVVY Contemporary in Auftrag gegeben wurde. Diese neue Arbeit betrachtet das sich verändernde Konzept der Demokratie auseinander und setzt sich mit Extremismus und der gegenwärtigen Krise der Politik auseinander. 

Als eine Art Nachhall des Filmes gibt die Installation einerseits den Wirbelwind an Diskursen wider, die durch den entsetzlichen und verstörenden Akt der Gewalt in Tel Aviv entfacht wurden, und wirkt anderseits als Metapher für die Konsequenzen einer polarisierten und durch politischen Extremismus gekennzeichneten Atmosphäre.  THE LAW OF THE PURSUER  zeigt wie hetzerische und fundamentalistische Rhetorik Gewalt und Brutalität säen kann und bietet zugleich ein psychologisches Porträt einer sich in traumatischen, politischen Umständen befindenden Gesellschaft. Durch die Wörter und den Aplomb von Shimon Peres, durch die Erinnerungen von Leah Rabin, durch die irreführenden Reden eines jungen Netanyahu und die Diskurse politischer Extremisten und ultraorthodoxer Rabbis sind wir eingeladen, durch einen komplexen politischen Thriller zu navigieren und uns mit der durch Polarisierung gekennzeichneten Gesellschaftsstruktur Israels der 1990er Jahre auseinanderzusetzen. Die hier dargelegte Erzählung fordert uns auf, über die besorgniserregenden Diskurse, Mythen und Sehnsüchte des Nationalstaates zu reflektieren, ebenso wie über die aktuellen (Re)Konstruktionen von Race- und Identitätskonzepten und die Verkündungen fundamentalistischer, politischer Rhetorik. 

In seinem Film zeigt Gitai die Brutalität des religiösen, ideologischen und politischen Extremismus auf sowie die Grausamkeit und Absurdität eines jüdisch-talmudischen Gesetzes, das sogenannte Din Rodef (das “Gesetz des Verfolgers”), das außergerichtliche Morde billigt: ein Rodef ist im traditionellen jüdischen Gesetz ein Mensch, der einen anderen “verfolgt” um ihn oder sie umzubringen. Dem jüdischen Gesetz zufolge muss eine Person, die der Ermahnung aufzuhören nicht folgt, ermordet werden. In den intensivsten Szenen des Filmes sprechen einige Rabbis einen Fluch über den Premierminister aus, erklären Rabin zum Feind der Juden und berufen die Engel der Zerstörung dazu, ihn zu ermorden. In dieser Weise stacheln sie indirekt den jungen Fundamentalisten Yigal Amir dazu an, Rabin unter der Annahme zu ermorden, dass jegliche an die palästinensischen Autoritäten gemachten Zugeständnisse (laut der Osloer Verträge) jüdische Leben bedrohen würden. Weitere heftige und gewalttätige Szenen, die unter Gitai’s Regie eindrücklich umgesetzt werden, zeigen Siedler im Westjordanland im Kampf mit Soldaten, die zu ihrer Zwangsräumung gekommen sind. Der Lärm der LKWs und der Kräne, die eintreffen um die Siedlungen und Lager zu zerstören, und die Aussicht auf die dahinterliegende Landschaft, welche mit einem Soundtrack von Amit Poznansky unterlegt sind, tragen im Ganzen dazu bei, ein Gefühl des Unbehagens, der Wut und der Angst zu vermitteln; ein unerträgliches, klaustrophobisches Gefühl, das durch die fundamentalistische Wende hervorgerufen wird. 

Benjamin Netanyahu, Rabins Kontrahent und der jetzige Premierminister, erscheint vor wütenden Menschenmassen, stachelt ihre Wut noch an und versucht sie zu seinem politischen Vorteil zu instrumentalisieren. Rabins Bildnis wird verbrannt, Photomontagen von Rabin als Hitler werden geschwenkt und er wird als Verräter des Zionismus, als Nazi und Helfer Satans, geschmäht. Die Massen rufen “Tod für Rabin.” Die Stimmung ist gespannt und tosend. 

Wie Gitai andeutet, sind die Konsequenzen des Attentats auf den Unterzeichner der Osloer Verträge noch heute sichtbar und die Anstachler des Hasses und der Wut sind noch immer an der Macht. Das politische Projekt Israels erscheint vorübergehend erschöpft, geschlagen durch die Torheiten eines religiösen Projektes. Durch eine Reise in die Vergangenheit, die die unerträgliche Gewalt untersucht, mit der die nationalistischen Kräfte Rabins Friedensprojekt bekämpft haben; und durch eine Aneinanderreihung von Fragmenten des kollektiven Gedächtnisses, die versucht diese Realität darzustellen, bietet Gitais Installation nicht nur einen Einblick in die komplexen politischen Auseinandersetzungen der Zeit und ihre Konsequenzen für die Gegenwart. Sie dient weiterhin der Infragestellung der jetzigen Situation und als besorgte Warnung für die Zukunft. 

Als Künstler schafft Amos Gitai standortspezifische Projekte, die sich mit seinen Filmen auseinandersetzen. Diese visuellen und akustischen Fahrpläne bestehen aus einer bemerkenswerten Dichte an Elementen. Die Räume, Bilder und Geräusche bieten der Öffentlichkeit die Möglichkeit, auf eine persönliche Reise zu gehen und sich auf eine einzigartige räumliche Erfahrung einzulassen. Der Architektur verwandt (Gitai hat ein PhD in Architektur von der Berkeley University), bringen diese Konstrukte diverse Elemente, wie Photographien, Collagen, Klänge und Räume zusammen um neue Reaktionen, Überlegungen, und Interpretationen in der Öffentlichkeit hervorzurufen. Gitai nutzt das Medium des Films um tiefsinnige neue Gedanken über Ereignisse der Vergangenheit und der Gegenwart anzuregen und beschäftigt sich weiterhin mit der Übertragung von Erinnerungen und der Rolle, die die Kunst in diesen Belangen spielt. Sein einzigartiger Ansatz zu Fragen der Erinnerung verleitet den Betrachter in eine Welt der kollektiven Erfahrung einzutauchen und diese zu beurteilen. 

Mehrere bedeutende Retrospektiven sind dem Werk von Amos Gitai bereits gewidmet worden, unter anderem im Centre Pompidou (Paris), NFT und ICA (London), im Lincoln Center (New York), in Berlins Kunstwerke, und MoMA New York. Zudem waren seine Filminstallationen auf der Venedig Architekturbiennale (im israelischen Pavillon), im Palais de Tokyo in Paris, im Museo Nazionale del Cinema in Turin, in den Meisterhäusen des Bauhauses in Dessau und beim MAXXI in Rom, zu sehen. 

Das SAVVY.doc wurde anlässlich der Ausstellung von Elena Quintarelli gemeinsam mit Jasmina Al-Qaisi und Beya Othmani neu geordnet, um die palästinensische Perspektive über die israelische Besetzung anzusprechen. Dazu gehören u.a. Gedichte von Fadwa Tuqan, Tawfiq Zayadd, Mahmoud Darwish und Taha Hussein, Essays aus direkter, politischer Perspektive, das Video einer Performance des renommierten Dichters und Aktivisten Rafeef Ziadah sowie wissenschaftliche Artikel. 

Das Archiv wird auch die Dokumentation des Vortrags “Palastine as a Race Question” von Nahed Samour beinhalten, der auf einer von der Critical Race Theory organisierten Konferenz gehalten wurde. CRT ist eine überwiegend juristische Disziplin, die “race” als ihren Brennpunkt für Analysen verschiedener Formen von Unterdrückung und Diskriminierung nutzt. Critical Race Theory Europe ist ein transnationales Kollektiv von Wissenschaftler*innen, Denker*innen, Schriftsteller*innen und Aktivist*innen, die sich dafür einsetzen, das Konzept von “race” kritisch im europäischen Kontext zu reflektieren. Theoretisch und methodisch konzentriert sich CRT Europe auf internationale, transnationale und nationale Fragen zu “race” vor allem mit Blick auf Recht und Politik. Im Gegensatz zu anderen Forschungsfeldern hat CRT Europe die Innovationskraft, “race” und Recht zusammenzudenken (crt-europe.org/about).

Exhibition Opening | Photo: India Roper-Evans
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